Diskussion um Hugo Ball, Pirmasens, 23.1.2023

Alle drei Jahre vergibt die Stadt Pirmasens einen Preis zu Ehren des Dada-Literaten Hugo Ball. Doch die für 2023 ausgewählte Künstlerin Hito Steyerl wünschte sich lieber eine Diskussion über Antisemitismus bei Ball. Steyerl hatte bereits während der documenta fifteen in Kassel im Jahr 2022 nach dem Enthüllen verschiedener antisemitischer Werke ihre Installation zurückgezogen und abbauen lassen. Steyerl sagte der Deutschen Presse-Agentur, sie habe den Preis nicht abgelehnt, „denn es gibt heuer keinen Preis“. Es sei positiv, dass man es gemeinsam als nötig ansehe, „über antisemitische Momente in Balls Werk“ zu sprechen. Hito Steyerl ist eine der wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart. Am 23. Januar 2023 fand in Pirmasens vor rund 170 Zuschauer:innen eine Podiumsdiskussion statt. Auf dem Podium sprachen über die „Judenbilder“ und den Antisemitismus im Werk von Hugo Ball: Prof. Dr. Magnus Brechtken, Historiker, Politikwissenschaftler und Philosoph, Vizedirektor des Instituts für Zeitgeschichte München. Prof. Dr. Johannes Heil, früherer Präsident , nun Professor an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Prof. Dr. Helmuth Kiesel,  Literaturwissenschaftler an der Universität Heidelberg mit Schwerpunkt 19./20 Jahrhundert. Prof. Dr. Meron Mendel, Publizist, Historiker, Pädagoge und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank mit Sitz in Frankfurt am Main. Dr. Susanne Urban, Leiterin Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen. Dr. Bernd Wacker, Vorsitzender der Hugo-Ball-Gesellschaft, katholischer Theologe. Moderation: Angela Gutzeit, freie Redakteurin und Moderatorin beim Deutschlandfunk. Die Diskussion war kontrovers, teils auch  apologetisch, was Balls Antisemitismus betraf. Insbesondere Herr Kiesel war versucht, Ball gegen jeden Vorwurf und jede belegte Stelle in Schutz zu nehmen. Dies solle aus der Zeit heraus verstanden werden oder – andere Schriftsteller hätten auch antisemitische Figuren gezeichnet. Es war eine ziemliche Perspektivdivergenz, die sich auf dem Podium eröffnete.  Johannes Heil benannte es sehr klar: Dass Ball mit der Klaviatur der antisemitischen Begriffswelt gespielt habe“, unterstrich er. Ball hat in seiner Schrift „Kritik der deutschen Intelligenz“ klassische antisemitische Bilder verwendet, von ihrer angeblichen Macht in Presse, Verwaltung und Politik und Verschwörungserzählungen bis hin zu seinen Bezügen zum russischen Antisemiten und Anarchisten Bakunin. Ob Ball gelernt hat ob er erschrocken war nach dem antisemitischen Mord an Walter Rathenau 1922, den er, Ball, als Jude zutiefst diffamiert hatte? Spekulation. Seine inkriminierte Schrift ist, ebenso wie eine zentrale Quelle zum Talmud und der Kabbala in seiner Schrift zum „byzantinischen Christentum“, jedenfalls klar von antisemitischen Bildern durchzogen. Wie hat Michael Wolffsohn so schön in „Eine andere jüdische Weltgeschichte“ geschrieben: „Was Antisemitismus ist, entscheidet nicht der Wille des Treffenden, sondern die Wirkung auf den Betroffenen, sprich: den oder die Juden.“

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