Werkstattgespräch: Antisemitismus im Kulturbetrieb, 4.5.2023

Gibt es im sogenannten Kunst- und Kulturbetrieb ein Antisemitismus-Problem? RIAS Hessen diskutierte darüber online am 4. Mai 2023 mit: Marina Chernivsky (Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment/OFEK e.V.), Kai E. Schubert (Justus-Liebig-Universität Gießen) und  Lasse Schauder (Sara Nussbaum Zentrum, Kassel).

Nach der Begrüßung und Vorstellung der Gäste führte Marina Chernivsky ein in das Thema: Antisemitismus als strukturelle Herausforderung für Institutionen. Sie verwies auf die stetige Historisierung von Antisemitismus und der Mystifizierung des gegenwärtigen Phänomens, einer weiteren Form von Sprachlosigkeit über gegenwärtigen Antisemitismus. Es gebe, so die Wissenschaftlerin, eine Wahrnehmungsdivergenz in allen öffentlichen Bereichen. Der Umgang mit Antisemitismus der Gegenwart, so Chernivsky, weise durchaus Züge institutioneller Diskriminierung auf. Schulen, Kunstbetriebe, Kulturbetriebe würden Juden und Jüdinnen objektifizieren und sie zu musealen Objekten machen. Die Frage, ob es heute überhaupt noch Antisemitismus gebe und ob das, was Juden und Jüdinnen als solchen empfänden, wirklich Antisemitismus sei, zeige den Wunsch der Mehrheitsgesellschaft,. zu objektivieren, nach Straftatbestand, Kategorie etc. Dies entspreche überhaupt nicht dem Stand der Diskriminierungs- und Antisemitismusforschung.

Kai E. Schubert, setzte den Fokus auf Bildungsangebote. Er betonte, Menschen würden oft keine Juden kennen und viele Pädagogen:innen dächten, das einfache Kennenlernen von Juden und Jüdinnen würde den Antisemitismus erledigen. Der Unterricht über Antisemitismus – oft als historisches Phänomen – sei textlastig, quellenlastig und auf die kognitive Ebene abzielend. Unterricht über Antisemitismus sollte jedoch in allen Fächern stattfinden, eben auch in Musik und Kunst. Es müsse eine Stärkung jüdischer und israelischer Perspektiven in den Materialien geben, auch Medien wie Comics seien relevant. Schubert monierte, dass es kaum eine Übersicht über die angebotenen Materialien zur Bildung über und gegen Antisemitismus gebe und dass Initiativen wie bspw. Artits against Antisemitism gar nicht in die Bildung einbezogen würden.

Lasse Schauder betonte, dass sich vor der documenta fifteen das Sara Nussbaum Zentrum in Kassel noch nie in politische Debatten eingemischt habe, dies jedoch angesichts der massiven Form der Debatten durchbrechen musste. Antisemitismus wurde zugelassen und befördert, die Stadtgesellschaft entsolidarisierte sich mit Juden und Jüdinnen und die drei offenen Briefe bzw. Statements des Zentrums wurden geflissentlich ignoriert und vor allem in jüdischen Kreisen rezipiert und verbreitet.

In der folgenden Diskussion ging es um verloren gegangenes Vertrauen oder die Frage, ob es überhaupt jemals ein ausgeprägtes vertrauen der jüdischen Gemeinschaft in die deutsche Gesellschaft und staatliche Einrichtungen gegeben habe. Die zunehmende Solidaritätsverweigerung in Deutschland gegenüber Juden und Jüdinnen sei auffallend. Ein Fazit gab es nicht, es blieben viele offene Fragen und der Ausblick auf 2023 – mit Konzerten von Roger Waters oder antiisraelischen Veranstaltungen anlässlich des 75. Jahrestages der Staatsgründung Israels.

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Einladung 4.5.2023

Einladung 4.5.2023

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