Jahresbericht RIAS Hessen
Kategoriensystem Moderner Antisemitismus
Der moderne Antisemitismus entstand ab dem späten 18. Jahrhundert und ist historisch mit etablierten antijüdischen Vorurteilsstrukturen verbunden. Er hat sich zu einer Ideologie weiterentwickelt, die weit über Religion als Basis hinausreicht. Stattdessen gründet er sich auf der Vorstellung, dass Jüdinnen und Juden unfähig zur Loyalität sind und einen „Staat im Staate” darstellen. Aus dieser Vorstellung ergibt sich das verschwörerische Element, das den modernen Antisemitismus kennzeichnet. Jüdinnen und Juden werden oft als Marionettenspieler:innen dargestellt, die zu ihrem eigenen Vorteil undurchsichtige Machenschaften orchestrieren und weltweit soziale Krisen verursachen. Außerdem wird ihnen unterstellt, dass sie über außergewöhnliche wirtschaftliche Macht verfügen und einen zerstörerischen Einfluss auf die Gesellschaften ausüben, in denen sie leben. Um diese Ideen zu verbreiten, werden häufig Personalisierungen und Codes als Chiffren verwendet, wobei Bezeichnungen wie „Rothschilds”, „George Soros”, „Neue Weltordnung” oder „Ostküste” (der Vereinigten Staaten) den Begriff „Juden” ersetzen. Es kommt im modernen Antisemitismus nicht selten vor, dass Jüdinnen und Juden für völlig widersprüchliche Dinge verantwortlich gemacht werden (Kapitalismus und Kommunismus beispielsweise).
Der moderne Antisemitismus stützt sich auf rassifizierende Merkmale, um zu funktionieren. Dazu gehört, dass Jüdinnen und Juden bestimmte Interessen und soziale Eigenschaften zugeschrieben werden, aber auch, dass sie in bildlichen Darstellungen als fremd und nicht zugehörig gekennzeichnet werden. Solche Darstellungen, die bereits vor, aber auch während des Nationalsozialismus genutzt wurden, existieren bis heute. Jüdinnen und Juden werden etwa mit übertriebenen Merkmalen wie großen Nasen, schwächlichem Körperbau, finsterem Gesichtsausdruck oder sogar als Vampire darstellt. Der moderne Antisemitismus nutzt einfache, aber emotional aufgeladene Bilder, um eine klare Unterscheidung zwischen „Gut“ und „Böse“ zu schaffen.