Jahresbericht RIAS Hessen

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Hessen 2022: Ein Rückblick

Entstehung von RIAS Hessen

Susanne Urban © Privat

Susanne Urban
© Privat

Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Bundesverband RIAS) e.V. führt, wenn möglich, für Bundesländer Problembeschreibungen zu Antisemitismus durch, um die jeweils zuständigen Stellen darin zu unterstützen, eine Entscheidung zu treffen, ob eine RIAS-Meldestelle im jeweiligen Bundesland eingerichtet werden sollte. Mit der 2017 vom Bundesverband RIAS e.V. erarbeiteten Problembeschreibung für Hessen, die jüdische Akteur:innen, jüdische Perspektiven und quantitative Einschätzungen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Einrichtungen zusammenführte, wurde deutlich, dass eine zentrale Stelle antisemitische Vorfälle in ihrer breiten Varianz und den verschiedenen Erscheinungsformen erkennen und empathisch bearbeiten müsse. Unerlässlich sei, so die damalige Empfehlung, Vertrauen in die Stelle seitens der jüdischen Community.

Der klaren Empfehlung, eine RIAS-Stelle in Hessen einzurichten, folgten Verhandlungen, Diskussionen und schließlich fiel Ende 2019 die Entscheidung, eine solche Stelle in Trägerschaft des Demokratiezentrums an der Philipps-Universität Marburg zu etablieren. Die Autonomie von RIAS Hessen ist in dieser Konstellation größtmöglich.

RIAS Hessen wird in der ersten Förderperiode bis Ende 2024 durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Landesprogramm „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“ gefördert.

Aufbauphase und Strukturen

Ab Mitte 2021 begann RIAS Hessen zu entstehen, zunächst durch die Einstellung von zwei wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und der Projektleitung. Es mussten Strukturen errichtet werden und es begann die Vernetzung in die jüdischen Gemeinden und Einrichtungen hinein. Eine Website und Flyer entstanden parallel.

RIAS Hessen ist Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) des Bundesverbands RIAS e.V. und basiert mit seiner operativen wie wissenschaftlichen Arbeit auf der Arbeitsdefinition Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Allliance (IHRA) in ihrer operationalisierten und damit für Deutschland spezifizierten Fassung. Diese Operationalisierung wurde 2014 vom Verein für Demokratische Kultur in Berlin e.V. (VDK e.V.)  vorgenommen und so vom Bundesverband RIAS e.V. nach Gründung angenommen.Vergleiche: IHRA: Arbeitsdefinition von Antisemitismus ;
Handbuch zur praktischen Anwendung der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus (PDF)
Diese Anpassung ist vor allem Phänomenen der Erinnerungsabwehr und der Täter-Opfer-Umkehr mit Blick auf die Shoah geschuldet.  Wie alle anderen in der Bundesarbeitsgemeinschaft organisierten Recherche- und Informationsstellen bzw. regionalen Meldestellen vertritt auch RIAS Hessen parteiisch die Perspektive jener, die von Antisemitismus betroffen sind. Dabei ist RIAS Hessen eine enge, kontinuierliche und auf Vertrauen gegründete Zusammenarbeit wichtig: mit jüdischen Institutionen wie dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen, den jüdischen Gemeinden in Hessen, Makkabi Deutschland, dem Sara Nussbaum Zentrum Kassel, der psychosozialen Beratungsstelle OFEK e.V., aber auch anderen jüdischen Organisationen sowie jenen Einrichtungen, die sich wissenschaftlich und in der Bildungsarbeit mit jüdischen Themen befassen – bis hin zum American Jewish Committe Berlin.

Vor allem die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) des Bundesverbands RIAS e.V. sowie die dort angebotenen, für alle RIAS-Stellen verpflichtenden Schulungen und der intensive Austausch auf Sitzungen der BAG sind relevant – beispielsweise um die Dokumentation und Analyse der gemeldeten und zur Kenntnis gelangten antisemitischen Vorfälle nach gemeinsamen Standards und Qualitätskriterien zu gewährleisten. Zudem werden in der BAG u.a. antisemitische Erscheinungsformen diskutiert oder antisemitische Gelegenheitsstrukturen analysiert; es findet somit eine stetige, kollegiale gegenseitige Unterstützung und Begleitung statt.

Aufgaben

RIAS Hessen möchte als zentrale Anlaufstelle für von Antisemitismus Betroffene in diesem Bundesland Ratsuchende bei antisemitischen Vorfällen unterstützen und verweist sie bei Bedarf an psychosoziale Beratungsstellen, insbesondere an OFEK Hessen e.V., wo ebenfalls eine dezidiert jüdische Perspektive vertreten wird. Auf Wunsch können Vorfälle veröffentlicht werden, grundsätzlich werden diese anonymisiert und vertraulich behandelt.

Über das Portal www.report-antisemitism.de, dem auch RIAS Hessen angeschlossen ist, ist eine bundesweit einheitliche Meldetechnologie garantiert. Die anonymisierte Erfassung und Dokumentation antisemitischer Vorfälle erfolgen anschließend in einer Datenbank. Darüber hinaus können antisemitische Vorfälle auch telefonisch oder per E-Mail gemeldet werden.
Antisemitische Vorfälle werden unabhängig von ihrer strafrechtlichen Relevanz aufgenommen; es werden beispielsweise auch antisemitische Bemerkungen und Aufkleber erfasst.Vergleiche zu Aufgaben auch: www.rias-hessen.de RIAS-Stellen nehmen antisemitische Vorfallsmeldungen von unmittelbar Betroffenen an, aber auch von Zeug:innen, Angehörigen und Freund:innen. Die Vorfälle werden verifiziert und Meldende erhalten bei Bedarf die bereits erwähnte Verweisberatung.

Die anonymisierte Erfassung der Vorfälle erfolgt in einer von allen RIAS-Stellen gemeinsam verwendeten Datenbank, die einem hohen Datenschutz und starker Datensparsamkeit unterliegt. Die Dokumentation basiert auf gemeinsamen Kriterien und Richtlinien aller in der BAG vertretenen regionalen RIAS-Meldestellen.

Die RIAS Hessen gemeldeten oder durch Monitoring bekannt gewordenen antisemitischen Vorfälle werden nach einem ebenfalls bundesweit von RIAS genutzten Kategoriensystem wissenschaftlich ausgewertet, um bspw. Erscheinungsformen hessenweit zu erheben.

Für das Jahr 2022 war noch kein Datenabgleich mit den zuständigen Strafverfolgungsbehörden in Hessen möglich; für 2023 wird dies erstmals geschehen.

Auf dieser Datengrundlage entstehen eigene Jahresberichte; die Ergebnisse fließen zudem in den vom Bundesverband RIAS e.V. herausgegebenen Jahresbericht ein; darüber hinaus veröffentlicht RIAS Hessen auch Monitoringberichte und Analysen zu bestimmten Anlässen und zentralen Themen. Dies geschah bereits mit Blick auf die documenta fifteeen in Kassel im Jahr 2022.

Mit den Veröffentlichungen möchte RIAS Hessen die Gesellschaft für das vielfältige Phänomen des Antisemitismus sensibilisieren. RIAS Hessen beteiligt sich zudem an den wissenschaftlichen Diskursen zu Antisemitismus sowie an der Bildungsarbeit über und gegen Antisemitismus.

Mit seinen Publikationen beteiligt sich RIAS Hessen ebenso wie über die Teilnahme an Konferenzen, Publikationen, Vorträgen, Workshops, Ausstellungen und pädagogischen Materialien am gesellschaftlichen Diskurs zu Antisemitismus. Eine bereits bestehende Plattform ist die „Konzeptwerkstatt Antisemitismus“, in der sich ein wachsender Kreis von Experten und Expertinnen in einem nicht-öffentlichen Format zwei Mal jährlich trifft, um Fragen aus Bildung, Forschung und akuter Gegenwart zu diskutieren. Darüber hinaus gibt es die öffentlichen „Werkstattgespräche Antisemitismus“, die gemeinsam mit Kooperationspartner:innen organisiert werden und zwei Mal jährlich bestimmte Phänomene des Antisemitismus beleuchten.

Das erste Jahr war für RIAS Hessen und damit für uns als Dreierteam herausfordernd. Dies vor allem durch die Kunstschau in Kassel, die documenta fifteen, die den Sommer 2022 über eine Gelegenheitsstruktur für antisemitische Vorfälle vor allem in Hessen bot.

Es war zugleich ein gutes Jahr, in dem wir enge Beziehungen zu Repräsentant:innen und Kolleg:innen jüdischer Gemeinden und Einrichtungen entwickelten oder diese noch vertieften. Die Veranstaltungen, die wir anboten, oder an denen wir teilnahmen, brachten neue Kontakte und Erkenntnisse und es ist eine Freude, all diese Menschen als Kolleg:innen, Freund:innen und Wegbegleiter:innen an unserer Seite zu wissen.

Zudem möchte ich als Projektleitung besonderen Dank an Charlotte Brandes und Stefan Raguse aussprechen, die insbesondere auch für die Annahme und Dokumentation der Meldungen zuständig sind und eine hervorragende Arbeit leisten. Diese spiegelt sich auch im Jahresbericht wider.

Dr. Susanne Urban
(Projektleitung RIAS Hessen)

Weitere Informationen, Aktuelles, Rückblicke und Downloads der Publikationen: www.rias-hessen.de