Fokuskapitel II
Antisemitismuserfahrungen in Bildungseinrichtungen
Inhalt
Kunst- und Kultureinrichtungen und -orte wie Museen, Theater oder auch die Buchmesse in Frankfurt am Main wurden in den Vorjahren unter der Kategorie Bildungseinrichtungen erfasst.
2023 gab es elf (11) Vorfälle aus Museen in Hessen, vor allem mit Bezug zum Jüdischen Museum Frankfurt.
2024 wurden RIAS Hessen 37 Vorfälle aus Kunst- und Kultureinrichtungen bekannt. Hierbei entfielen 16 auf das Jüdische Museum Frankfurt und sechs (6) auf weitere Ausstellungseinrichtungen, weitere sechs (6) auf die Buchmesse Frankfurt im Oktober 2024, der Rest auf Festivals oder andere Events.
Um die Betroffenen zu schützen, werden zu Vorfällen aus Schulen in den meisten Fällen keine Details veröffentlicht, die eine Reidentifizierung ermöglichen. Dies gilt nicht für Vorfälle, die medial begleitet wurden. Vergleichbare Kriterien gelten für Vorfälle an Hochschulen.
Bildungseinrichtungen
Anstieg um 53 Prozent im Vergleich zu 2023
Die Zahl der antisemitischen Vorfälle in Bildungseinrichtungen stieg 2024 im Vergleich zu 2023 um rund 53 Prozent. In Zahlen: von 116 auf insgesamt 178 Vorfälle.
In der zeitlichen Verteilung der Vorfälle an Bildungseinrichtungen sind Ferienzeiten beziehungsweise vorlesungsfreie Zeiten zu berücksichtigen.
Die Peaks im Mai und Juni 2024 insbesondere an Hochschulen spiegeln die Kriegssituation in Gaza wider, als es zur Intensivierung des Vorgehens der israelischen Armee oder, im Juni, zur Befreiung von vier israelischen Geiseln in Gaza kam.
Im Mai liegt zudem der Jahrestag der Staatsgründung Israels 1948; hinzu kommt der ebenfalls im Mai begangene „Nakba-Tag“, der an die „Flucht und Vertreibung“ der arabischen Bevölkerung aus dem vormaligen Mandatsgebiet Palästina erinnern soll und seit vielen Jahren genutzt wird, um zum „Widerstand“ gegen den Staat Israel aufzurufen und diesem das Existenzrecht abzusprechen.
Zu Semesterbeginn im Frühjahr 2024 begann die Mobilisierungsphase der einschlägigen Gruppen an den Hochschulen. Die Encampments („Protestcamps“) verzeichneten aufgrund dieser Umstände im Mai und Juni 2024 bundes – und hessenweit einen ersten Höchststand.
Im Oktober 2024 war es der erste Jahrestag des Überfalls der Terroristen auf Israel, der sowohl in Hessen als auch bundesweit eine Gelegenheitsstruktur für antisemitische Versammlungen und andere Vorfälle bildete.
Aus Schulen wurden 48 Vorfälle bekannt (2023: 56 Vorfälle), aus Hochschulen 121 Vorfälle (2023: 51 Vorfälle), aus sonstigen Einrichtungen, bspw. Jugendeinrichtungen acht (8) Vorfälle und ein (1) Vorfall aus einer Kita.
Vorfälle an Schulen
Die Schulen in Hessen wiesen zwar acht (8) Vorfälle weniger als 2023 auf, doch im Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern von Einrichtungen und Bildungsträgern wie der pädagogischen Abteilung des Jüdischen Museums der Stadt Frankfurt, Spiegelbild – Politische Bildung aus Wiesbaden, der Bildungsstätte Anne Frank oder Jüdischen Gemeinden, die Schulklassen empfangen, wird deutlich, dass RIAS Hessen bei weitem nicht alle Vorfälle in schulischen Kontexten abbildet. Vieles wird nicht gemeldet. Antisemitismus in Klassenräumen wurde 2024 immer wieder bagatellisiert oder dethematisiert.
Es gab zwei (2) Bedrohungen, die RIAS Hessen an Schulen bekannt wurden, außerdem 46 Fälle verletzenden Verhaltens. 25 Vorfälle wurden dem antisemitischen Othering zugeordnet, 25 dem Post-Shoah-Antismeitismus, also bspw. der Leugnung oder Bagatellisierung des Holocaust bzw. das Verwenden von NS-Symbolen in Verbindung mit abwertenden Äußerungen über Jüdinnen und Juden.
Israelbezogener Antisemitismus wurde 16-mal dokumentiert. In acht (8) Fällen gab es direkte Bezüge zum 7. Oktober 2023. Dabei wurde sieben (7) Mal Israel delegitimiert und ein (1) Mal als „Terrorstaat“ bezeichnet. Sechs (6) Mal wurden Jüdinnen und Juden mit dem Staat Israel gleichgesetzt und in die Verantwortung für dessen staatliches Handeln genommen.
In neun (9) Vorfällen wurde in den antisemitischen Vorfällen auf die Ermordung von Jüdinnen und Juden in der Shoah positiv Bezug genommen. Antijudaistischer Antisemitismus wurde in drei (3) Fällen dokumentiert.
Abwertende Bezeichnungen (antisemitisches Othering) zu und über jüdische Personen oder Beschimpfungen in Zusammenhang mit Begriffen wie „Schwein“ oder Vergleichbarem gab es an Schulen in Hessen 13-mal.
Zwölf (12) Vorfälle waren Schmierereien, in 29 Vorfällen wurde Antisemitismus Face-to-Face geäußert, was Betroffene besonders erschüttert hinterlässt und zu verschiedenen Reaktionen führen kann – vom Verbergen oder der Ablehnung der eigenen jüdischen Identität bis hin zum Schulwechsel oder dem Vertrauensverlust in die Institution und den Lernort Schule.
Vorfälle an Hochschulen
An den Hochschulen in Hessen gab es drei (3) Angriffe auf Personen, zwei (2) Bedrohungen und 115 Fälle verletzenden Verhaltens, worunter auch die meisten Versammlungen (53) auf den Campi der Hochschulen zählten; von diesen 53 Versammlungen waren 12 Encampments, also als „Protestcamps“ angemeldete Veranstaltungen.
Hinzu kamen 25 Vorfälle, die Face-to-Face stattfanden: Jüdinnen und Juden, jüdisch gelesene oder solidarische Personen wurden beispielsweise beschimpft oder es wurde öffentlich in antisemitischer Weise abwertend über jüdische Personen gesprochen. Plakate und Flyer wurden zehn (10) Mal gemeldet; es gab 14 Vorfälle mit antisemitischen Aufklebern und zudem wurden 15 Schmierereien gemeldet.
Wurden an einem Tag ganze Fachbereiche oder ein Campus mit ein und demselben Aufkleber vollgestickert, so galt dies als ein Vorfall, auch wenn diese Sticker dutzendfach verklebt wurden.
Die antisemitischen Erscheinungsformen auf den Campi und in den Hochschulen verteilten sich wie folgt: Israelbezogener Antisemitismus konnte in 108 Vorfällen festgestellt werden, antisemitisches Othering war es bei 29 Vorfällen, Post-Shoah-Antisemitismus war mit 14 Vorfällen und antijudaistischer Antisemitismus mit 13 Vorfällen vertreten. Moderner Antisemitismus war in sechs (6) Fällen feststellbar. Verschränkungen entstanden vor allem zwischen israelbezogenem und Post-Shoah-Antisemitismus über Vergleiche der Situation in Gaza und der Shoah (Shoah-Relativierung) sowie die Erinnerung an die Shoah zurückweisende Aussagen wie „Free Palestine form German Guilt“. Der signifikante Anstieg des antijudaistischen Antisemitismus in Hochschulen bedingt sich vor allem durch die Parole „Kindermörder Israel“, die über diese als auch die Erscheinungsform des israelbezogenen Antisemitismus dokumentiert wird.
Politische Hintergründe
Die politische Zuordnung antisemitischer Vorfälle an Schulen und Hochschulen ist nicht immer so eindeutig gewesen wie es auf den ersten Blick schien. Hakenkreuze und andere nationalsozialistischen Symbole, die in Verbindung mit Davidsternen geschmiert werden, können auf eine rechtsradikale oder rechtspopulistische Ablehnung von jüdischen Personen hinweisen, aber auch eine Gleichsetzung Israels mit dem Nationalsozialismus bedeuten.
Gesicherte Zuordnungen entstehen vor allem durch Logos, veranstaltende Gruppen mit Blick auf Versammlungen und Encampments oder auch einen eindeutigen Bezug auf die Shoah im Sinne einer Shoah-Befürwortung oder Verherrlichung.
An Hochschulen wurde drei (3) Mal die explizite Verwendung des roten „Hamas-Dreiecks“ in Kombination mit anderen, antisemitischen Symboliken und Parolen, beobachtet.
In Schulen sind die Vorfälle mit rechtsextremem Bezug mit sieben (7) Vorfällen höher als jene in den Hochschulen, die 2024 nur einen (1) Fall aufwiesen.
Antiisraelischer Aktivismus bildete bei 69 Vorfällen den Hintergrund an Hochschulen, in Schulen konnte dies nur einmal (1) klar benannt werden.
Linke Ideologien bestimmten an Hochschulen bei elf (11) Vorfällen den Hintergrund. Insgesamt 30 Prozent der Vorfälle an Bildungseinrichtungen ließen sich keiner eindeutigen politischen Richtung zuordnen.
Antiisraelischer Aktivismus ist (nicht nur) an Hochschulen ein Bindeglied verschiedener Gruppen und bildet damit die Brückenfunktion im Sinne einer politischen Anschlussfähigkeit von Antisemitismus für alle Milieus.
Triggerwarnung
Wir haben uns bei der Darstellung exemplarischer Vorfälle dazu entschieden, manche Aussagen auszuschreiben, andere wieder haben wir umschrieben und manche mit einem Sternchen „entschärft“.
Vorfälle aus Schulen
Im Jahr 2024 wurden mehrere Fälle bekannt, in denen Schmierereien wie „Sch* Juden“ in Verbindung mit Davidsternen, Hakenkreuzen und anderen NS-Bezügen entdeckt wurden. Hinzu kamen antiisraelische Parolen und gegen die jüdische Community gerichtete Vernichtungswünsche.
In Klassenräumen wurden von Mitgliedern der Klassenverbünde Hass und Ablehnung gegenüber Juden und dem Staat Israel geäußert.
Zudem wurden jüdische Personen in Schulen mit antisemitischem Aussagen und Todesfantasien mit Bezug zu „Zionisten“ und dem Wunsch, Israel möge verschwinden, konfrontiert. Ein Schulkind wurde direkt mit dem Spruch „Zionisten gehören vergast“ konfrontiert.
Vorfälle gab es in allen Schulformen, auch an Grundschulen.
30. Januar 2024
Während einer Filmvorführung des Films „Die Wannseekonferenz“ in Wiesbaden applaudierten und johlten einige der anwesenden rund 60 Schüler, als der Satz „Sechs Millionen Juden wurden unter der Herrschaft der Nationalsozialisten ermordet“ über die Leinwand lief. Die Staatsanwaltschaft stellte im September 2024 das Verfahren ein. Für die Jüdische Gemeinde in Wiesbaden blieb der Vorfall trotzdem eine Erschütterung, denn wie junge Menschen über die Shoah lernen, sei wesentlich. Bildungseinrichtungen aus Hessen begleiteten die Aufarbeitung des Vorfalls.
12. Februar 2024
Ein Plakat wurde mit einem Hakenkreuz und dem Schriftzug „F*ck alle Juden“ beschmiert. Das beschmierte Werbeplakat war unmittelbar vor der jüdischen Schule in Frankfurt am Main angebracht. Mit solchen Schmierereien werden Räume unmittelbar vor jüdischen Einrichtungen absichtlich unsicher gemacht.
„Vor dem Hintergrund der Antisemitismuserfahrungen, der Stigmatisierung jüdischer Identität wie sie im Schimpfwortgebrauch von ‚Du Jude‘ zum Ausdruck kommt und drohender Angriffe verheimlichen viele Schüler/-innen ihre jüdische Identität. Andere sehen sich nach Angriffen in der Position, ihre Schule verlassen zu müssen, da sie keine angemessene Unterstützung von Mitschüler/-innen, Lehrkräften oder Schuloffiziellen erfahren haben, während die Angreifer/-innen ohne disziplinarische Konsequenzen an der Schule verbleiben konnten. Die Betroffenen empfinden es angesichts der Bagatellisierung des Antisemitismus und der Untätigkeit ihrer Mitschüler/-innen und Lehrer/-innen so, dass sie allein dastehen, also angegriffen werden, ihnen weder mit Verständnis noch mit Empathie begegnet wird, sie keine Unterstützung erfahren und sie dazu häufig noch selbst für die Situation verantwortlich gemacht werden.“Julia Bernstein und Florian Diddens: „Man muss da schon ganz schön auf Durchzug schalten, um nichts mitzubekommen“. In: Julia Bernstein, Marc Grimm, Stefan Müller (Hg.): Schule als Spiegel der Gesellschaft. Antisemitismen erkennen und handeln Antisemitismus und Bildung, Wochenschau Verlag, Frankfurt/M. 2022, S. 85.
Hochschulen
An Hochschulen – Universitäten, Fachhochschulen, Kunsthochschulen – kam es 2024 zu zahlreichen Encampments, Kundgebungen und Infoständen, die unter anderem Post-Shoah-Antisemitismus und israelbezogenem Antisemitismus Raum boten. Postkoloniale Ideologien und Erinnerungsabwehr verschränkten sich ebenfalls.Weitere Info zur Einordnung: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2022/09/israelbezogener-antisemitismus-faltblatt.pdf https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2023/11/Post_Shoah_Antisemitismus_Flyer.pdf Parolen wie das komplett ausgesprochene bzw. ausgeschriebene „From the River to the Sea …“, aber auch die in vielen Fällen vorhandene bildliche Delegitimierung Israel mithilfe einer Landkarte Palästinas ohne Israel waren Alltag. Auch Parolen wie „Freiheit, Freiheit, Palästina ist arabisch“ oder „Alle gegen Zionisten, Mörder, Siedler und Faschisten“, womit der Staat Israel eine Delegitimierung und Dämonisierung erfuhr, wurden über Campi gerufen.
Auf dem Gelände von und in Hochschulen selbst waren in Redebeiträgen, Transparenten und Stickern Schlagworte wie „Kolonialismus“ und „Apartheid“ präsent. Dies gilt auch für den Aufruf zum Boykott Israels bzw. israelischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler; die Kooperation mit Universitäten in Israel wurde oft pauschal abgelehnt.
Hochschulen wurden zu (noch) unsichereren Orten für jüdische Menschen und solidarische Personen, ob in der Mensa, auf dem Campus oder in den Seminarräumen und Hörsälen. Selbst auf den Toiletten war Antisemitismus durch Schmierereien und Sticker präsent. Judenhass war auf dem Campus kaum zu entkommen.
Es geht nicht nur um verbale und physische Angriffe, sondern auch darum, dass sich in Hochschulen Dozentinnen und Dozenten antisemitisch äußerten oder über Quellen und eine einseitige Textauswahl israelfeindliche und den Terror des 7. Oktober 2023 relativierende Aussagen verbreiteten.
Die offene Äußerung u.a. israelbezogenen Antisemitismus und antisemitischen Otherings geschah auch während einer Vortragsreihe zu Israel und Nahost an einer hessischen Hochschule. Nach dem Vortrag einer Wissenschaftlerin wurde ihre wissenschaftliche Seriosität angezweifelt; sie spreche „nur als Betroffene“. Sie wurde zudem von der Moderation in der Einschätzung der Parole „From the River to the Sea …“ „korrigiert“. Abmoderiert wurde mit den Worten, nächstes Mal gehe es „wieder mehr um Israel und Palästina“. Diese Strategie des Aberkennens der Wissenschaftlichkeit und damit der Diskreditierung jüdischer Forschender wurde bereits von Martin Broszat und anderen deutschen Historikern gegenüber Wissenschaftlern wie Saul Friedländer oder Joseph Wulf verwendet.Nicolas Berg: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen: Wallstein, 1. und 2. Aufl. 2003; 3. durchgesehene und mit einem Register versehene Aufl. 2004.
Während eines anderen Vortrags wurden weder vom Referenten noch von der Moderation der 7. Oktober 2023 erwähnt, aber es wurde vom „Widerstand gegen die Besatzer“ gesprochen. Über das nationalsozialistische Deutschland hieß es: „Deutschland war Täter und Opfer zugleich. Täter vor dem Nürnberger Gericht und Opfer der alliierten Strafjustiz.“ Es fiel auch folgender Satz der Gleichsetzung israelischer Soldaten mit der Wehrmacht: „Israelische Soldaten, die lachend und singend in den zerstörten Häusern stehen … die Masse der Mörder auch bei den Nazis, also die ganzen Fußsoldaten, die kommen alle nicht vor Gericht.“
In einer weiteren Vorlesung wurden Schlagworte aneinandergereiht, ohne Kontext: „Kolonialismus: Israel als Siedlerkolonialismus, Israel als Apartheid, ethnische Säuberung, Rassismus – das habe ich jetzt nur referiert. Einordnen werde ich das nicht, weil dann müsste ich auf jeden Punkt genau eingehen.“ Die Referentin sprach davon, dass sie zwar an eine deutsche Schuld glaube, aber die Schuld bestehe auch darin, dass „wir die Juden verfolgt haben und den Arabern gesagt haben, macht Platz für sie. … Wir müssen zur Kenntnis nehmen, was das bedeutet: die Erwartung, dass die Palästinenser die deutsche Last tragen.“
Widerspruch aus dem Publikum gegen diesen Post-Shoah-Antisemitismus gepaart mit einer Delegitimierung Israels erfolgte manches Mal gar nicht oder es waren nur vereinzelte Stimmen. So entstanden weitere verunsichernde Räume.
Auf den an Hochschulen in Hessen organisierten Encampments („Protestcamps“) kam es zu verbaler Aggression und physischen Angriffen. RIAS Hessen dokumentierte folgenden Vorfall, der einem ähnelt, wie er im Hauptkapitel „Das Jahr in Zahlen“ beschrieben ist. Eine Person nahm an einer Solidaritätskundgebung für die nach Gaza verschleppten Geiseln teil und trug ein Plakat bei sich mit der Aufschrift „Vergewaltigung ist kein Widerstand“. Die Person wurde von Personen aus dem Encampment bedrängt. Man wollte ihr das Plakat wegnehmen. Als eine weitere Person einschritt, um zu helfen und versuchte, die Angreifer von der bedrängten Person wegzuschieben, kam die Polizei hinzu. Sie nahm die Personalien dieses zum Schutz der angegriffenen Person eingreifenden Individuums auf, nicht aber die der Angreifer.
Hochschulen
11. Januar 2024
Auf dem Campus der Goethe-Universität in Frankfurt am Main wurde die Hauswand eines antisemitismuskritischen und israelsolidarischen Treffpunkts mit „Yallah Intifada“ und „Free Palestine from German Guilt“ beschmiert.
17. Januar 2024
Die Plakate für eine Veranstaltung mit einem jüdischen Aktivisten wurden am Campus der University of Applied Sciences in Frankfurt am Main und in den Gebäuden der Universität abgerissen. Einladungen konnten nur online und über geschützte Chats erfolgen. Nicht nur an diesem Tag zeigte sich, dass an Hochschulen die Räume für israelsolidarische, antisemitismuskritische und jüdische Stimmen verengt wurden, forciert auch durch solche Aktionen.
8. Mai 2024
In der Marburger Mensa der Universität wurden alle Flyer einer israelsolidarischen Hochschulgruppe mit „ziofaschisten!!!“ beschmiert. Die Gleichsetzung der jüdischen Nationalbewegung, dem Zionismus, mit dem Nationalsozialismus oder, wie hier, mit dem eher in linken Gruppen verwendeten Begriff des Faschismus, soll den Zionismus als jüdisches Recht auf Selbstbestimmung delegitimieren.
15. Mai 2024
Vor der Mensa der Universität Kassel fand eine Versammlung statt. Verteilt wurden Flyer, die den angeblichen Landraub des Staates Israel mit einer Karte illustrierten, die in historisch falscher Weise die Entwicklungen der jeweiligen Staatsgebiete darstellen. Auch wurde der Boykott aller israelischen Universitäten gefordert – und damit ein Ende aller wissenschaftlichen und forschenden Kooperation. Es wurde „From the River to the Sea …“ skandiert. In einer Rede hieß es, „das, was Israel in Gaza tut, ist ein Rachefeldzug, der historisch seinesgleichen sucht“. Zudem hieß es, Jüdinnen und Juden „tun das, was ihre Vorfahren im Holocaust erlebt haben, nun den Palästinenserinnen und Palästinensern an. … Sie instrumentalisieren die Shoah, um Kritik an Israel zu verhindern.“ Vorwürfe, die jüdische Community instrumentalisiere die Shoah, kam lange Zeit vor allem aus rechtsextremen Kreisen. Diese die Verantwortung für und die Erinnerung an die Shoah zurückweisende Argumentation findet sich jedoch seit einigen Jahren auch verstärkt in vermeintlich progressiven Kreisen, um israelbezogenen Antisemitismus von sich zu weisen.
20. bis 25. Mai 2024
Während eines über mehrere Tage sich hinziehenden israelfeindlichen Encampments an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main kam es anlässlich der Gegenproteste zu folgender Ansage: „Es haben sich hier ein paar lächerliche Zionisten zu einer Gegendemo versammelt, während wir hier den Campus besetzen! Die bringen die gleiche prozionistische genozidale Propaganda wie vor Jahrzehnten. … Der Gegenprotest und der ganze Scheiß reihen sich ein in die ganze deutsche Staatsagenda und -räson. Es geht hier um unsere, die antizionistische Bewegung. Wir aber sind laut! Wir stehen an der Seite des palästinensischen Befreiungskampfes!“ Die kleine Gruppe israelsolidarischer und jüdische Perspektiven einfordernde Versammlung, die rund 50 Meter entfernt zusammengekommen war, wurde als „Zionistenpack“ bezeichnet. Unter den skandierten Parolen des Encampments war: „Zionisten raus! Zionisten raus aus Palästina!“. In einer Ansprache hieß es: „Wir brauchen eine richtige, eine finale Lösung, dann ist es unser Palästina.“
Eines von mehreren Plakaten, die israelbezogenen Antismeitismus verbreiteten, trug die Aufschrift: „It all started on October 7 1948.“ Es gab einen Siebdruck-Workshop, bei denen T-Shirts bedruckt wurden mit Palästina ohne Israel, darunter: „From the River to the Sea“, „Palästina ist arabisch“ oder mit dem Umriss Palästinas ohne Israel, in den Umrissen des Landes befand sich jedoch eine vermummte, Waffe tragende, Person. Das Büro des Präsidenten der Universität wurde auf einem Instagram-Post mit einem roten „Hamas-Dreieck“ markiert. Hier kamen also verschiedene antisemitische Erscheinungsformen zusammen; ebenso wurden verschiedene Eskalationsstufen deutlich; von Plakaten und Parolen über Markierungen und Beschimpfungen bis hin zur Anspielung auf die „Endlösung“ durch den Ausspruch der „finalen Lösung“ für Israel. Das von studentischen wie externen Personen und Gruppen getragene Encampment wurde von jüdischen und solidarischen Personen und Gruppen als bedrohlich empfunden.
13. Juni 2024
An der Universität Gießen fand eine antiisraelische Kundgebung statt. In Ansprachen wurde gesagt: „Israel ist ein barbarischer Kindermörder, der keine ethischen und moralischen Werte hat.“ Redner sprachen wiederholt vom Kindermord und sagten, die Medien betrieben eine „Vollnarkose“, gespeist aus „zionistischer Propaganda“. Auf einem Plakat hieß es: „Netanjahu Kindermörder“, geschrieben mit absichtlich verschmierter roter Farbe, auf dem Plakat war ein blutverschmierter Babystrampler montiert. Diese plakative Art, Israel, israelische Repräsentanten und letztlich das jüdische Kollektiv als „Kindermörder“ zu verunglimpfen, ist leider weit verbreitet.
13. und 17. Juni 2024
In einem Gebäude der Universität Marburg wurden Aufkleber „Gegen jeden Antisemitismus“ des regionalen Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft mit Hakenkreuzen beschmiert. In dieser Weise werden Institutionen oder Personen, die sich solidarisch mit Israel zeigen, in die Nähe von Rechtsextremen gerückt bzw. Israel als Nazis dämonisiert – oder es kann ein rechtsextremer Angriff auf eine solche Gruppierung gewesen sein. Die politische Täterschaft ist nicht immer klar festzustellen.
17. Juli 2024 und 23. September 2024
Im Rahmen einer Kundgebung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main versammelten sich rund 50 Personen; in Sprechchören wurde Israel u.a. delegitimiert. Eine jüdische Person fuhr mit dem Fahrrad zufällig in Schrittgeschwindigkeit an der Versammlung vorbei, um zu einem Gebäude zu gelangen. Der Betroffene wurde von einer teilnehmenden Person aufgrund seines aus der Jacke ragenden, unter der Kleidung hervorblitzenden, Tallit mit den Zizit (Gebetsfäden) als jüdisch erkannt. Aus der Versammlung heraus wurde er angeschrien: „Du hast gerade ein Kind getötet, Zionist!“
Im September, als eine bereits seit Wochen von antiisraelischem Aktivismus und Antisemitismus aggressiv antisemitisch angegangene Wissenschaftlerin einen Vortrag halten wollte, wurde an einem vor dem Gebäude gegen den Vortrag aufgebauten Proteststand über Megafon „Juden töten Kinder“ gerufen. Die Wissenschaftlerin ist jüdisch.
Diese Gleichsetzung einer jüdischen Person mit Israel und die Beschimpfung als „Kindermörder“ zeigt, wie sich Judenhass konsequent von jedweder Realität abdockt und dass es ausschließlich um Projektionen geht.
25. Juli und 4. August 2024
Die Ausstellung von RIAS Hessen mit in Bildgeschichten umgesetzten antisemitische Vorfälle aus Hessen wurde ab dem 25. Juni 2024 in der Unibibliothek Gießen gezeigt. Bereits während der Eröffnung kam es zu Störungen. Während der Laufzeit der Ausstellung wurden zunächst im Juli auf die Glasscheiben des Ausstellungsraumes Sticker geklebt: „Boycott Israeli Apartheid!“ Weitere dieser Aufkleber wurden im August angebracht: auf die Banner mit Vorfällen mit Bezug zum 7. Oktober 2023 sowie neben einem Vorfall aus der Covid-Pandemie ohne jeglichen Israel-Bezug.
5. September 2024
Plakate der israelischen Geiseln in der Nähe der Mensa in Marburg wurden abgerissen bzw. die Gesichter und Namen schwarz beschmiert. Dieses aggressive Auslöschen der Erinnerung an die Geiseln in Gaza ist seit Oktober 2023 zu beobachten gewesen, weltweit.
16. und 17. Oktober 2024
An der Goethe-Universität Frankfurt am Main wurden großflächig Aufkleber geklebt: „Es begann nicht am 7. Oktober – 76 Jahre Genozid. Raus auf die Straßen!“ und, einen Tag später, „Gemeinsam gegen Rassismus, Antisemitismus und die israelische Apartheid.“ Der Versuch mancher israelfeindlicher und antisemitischer Gruppierungen, sich als Verbündete gegen Rassismus und Antisemitismus darzustellen, wurde 2024 intensiviert. Antisemitismus wird in diesen Gruppen dem Rechtsextremismus und Rechtspopulismus zugeordnet; außerdem werden israelbezogener und linker Antisemitismus negiert.
„Die Konsequenz für viele Betroffene ist vor allem soziale Isolation. Universitäre Räume werden so weit wie möglich gemieden. Dabei ist das der soziale Raum, der im Laufe des Studiums für die meisten am wichtigsten ist. Hochschulgruppen, Uni-Partys und neue Bekanntschaften – all das ist in der Regel kein safe space mehr für jüdische Studierende. Was jedoch am meisten schmerzt, ist der Verlust von Verbündeten und Freundschaften.“Hanna Veiler, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands, in: American Jewish Committee Berlin/Ramer Institute for German Jewish Relations (AJC Berlin), Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD): Lagebericht Antisemitismus an deutschen Hochschulen, Berlin 2025, S. 12.
Andere Bildungseinrichtungen
In einem Briefkasten einer Jugendeinrichtung fanden sich an einem Tag im Jahr 2024 Flyer. Die obere Hälfte zeigte die Flagge Israels, die untere dieselbe Flagge, anstelle des Davidsterns ist ein Hakenkreuz zu sehen. Über der ersten Hälfte steht: „Wem gehört das Land …“ zwischen den beiden Flaggen „Bauplan des Bösen“ und ganz unten „und die Welt schaut zu“. Hier zeigen sich Täter-Opfer-Umkehr zur Shoah ebenso wie verschwörungsideologische Versatzstücke und israelbezogener Antisemitismus.
24. Januar 2024
Eine konfessionelle Akademie lud zu einer Veranstaltung mit dem Anspruch ein, anlässlich des 7. Oktobers 2023 und dem Krieg in Gaza einen Dialog zweier Positionen und biografischer Erfahrungen durchzuführen. Der angeblich dialogische Charakter des Gesprächs war nicht vorhanden, im Gegenteil. Beide englischsprechenden Protagonisten beklagten die vermeintliche „koloniale Apartheidpolitik“ des jüdischen Staates. Auch wurde die Auflösung des Staates Israel über „From the River to the Sea …“ gefordert und die „Nakba“ mit der Shoah gleichgesetzt. Die Moderation intervenierte an keiner Stelle. Dass der Überfall der Hamas den Krieg auslöste, kam nicht einmal zur Sprache. Israel wurde als Aggressor dargestellt, der 7. Oktober als legitimer Widerstand konnotiert. Ein Besucher meldete sich, ordnete den 7. Oktober anders ein, widersprach der Beschreibung des israelischen Staates als kolonial und als Apartheid. Der Moderator übersetzte die Meldung nicht ins Englische, sondern sagte, unter Zuhilfenahme des antisemitischen Otherings, zu den Podiumsteilnehmern gewandt: „He‘s a Jew from here. He criticized a little bit the terminology of Apartheid and so”. Das Video wurde von der Website der Veranstalter gelöscht.
„Der Begriff der Antisemitismuskritik ergibt sich aus dem Grundgedanken der Kritischen Theorie und erkennt die Notwendigkeit selbstkritischer Reflexivität im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit an. Zentral ist die Erkenntnis, dass Antisemitismus als Macht- und Strukturverhältnis das Denken und Handeln der gesamten Gesellschaft durchdringt und das Individuum antisemitisches Wissen als Teil seiner Sozialisierung erlernt. Die Bezeichnung ‚antisemitismuskritische Bildung‘ umfasst eine Vielzahl von Bildungsansätzen, die auf einer gemeinsamen Basis beruhen. Der Kritikbegriff problematisiert die Konstanz, aber auch die Abwehr des Antisemitismus, problematisiert seine Externalisierung und geht explizit auf die Bagatellisierung jüdischer Perspektiven ein. Antisemitismuskritische Bildung richtet sich zudem nicht ausschließlich an Jugendliche, sondern auch an Erwachsene, die in ihren professionellen Rollen angesprochen und in Fort- und Weiterbildungen sensibilisiert und geschult werden sollen.“https://zwst-kompetenzzentrum.de/wp-content/uploads/2023/12/231128_KoZe_Broschuere_DIN-A5_Bildungsprogramme_Web-einzeln.pdf